Vortrag von Ministerialdirigent Dr. Bernhard Felmberg – Textil und Mode – PolitFashionShow, am 17. Januar 2018, in Berlin
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Abgeordnete,
liebe Frau Neumann, (Präsidentin Textil und Mode),
wir alle wissen um die vielschichtigen Probleme in der Textilindustrie:
- die Lieferketten sind undurchsichtig und weit verzweigt, Arbeitsbedingungen sind vielerorts unzureichend, ökologische Bestimmungen werden vielfach ignoriert.
- Mehr als offensichtlich wurde der Handlungsbedarf als im April 2013 die Textilfabrik Rana Plaza einstürzte und mehr als 1.100 Menschen unter sich begrub. Menschen, die unter sehr schlechten Bedingungen und für einen Lohn, der kaum zum Leben reicht, T-Shirts, Jacken oder Jeans herstellten. In einem Gebäude, das marode und instabil war, in dem Sicherheitsvorkehrungen und Brandschutzmaßnahmen fehlten, Fluchtwege verstellt, verschlossen oder schlichtweg nicht vorhanden waren.
- Als einer der größten Textilmärkte in Europa trägt Deutschland besondere Verantwortung. 90% unserer Kleidung wird in EL produziert, ein Großteil in Asien – vielfach unter menschenunwürdigen Bedingungen.
„Bundesminister Dr. Gerd Müller stieß deshalb die Gründung des Bündnisses für nachhaltige Textilien an – eine Multiakteurspartnerschaft aus Bundesregierung, Gewerkschaften, Unternehmen, Verbänden, Nichtregierungsorganisationen und Standardorganisationen.“
Mit dem Ziel, Textil-Lieferketten fairer und umweltfreundlicher zu gestalten,
- stieß Bundesminister Dr. Gerd Müller deshalb die Gründung des Bündnisses für nachhaltige Textilien an – eine Multiakteurspartnerschaft aus Bundesregierung, Gewerkschaften, Unternehmen, Verbänden, Nichtregierungsorganisationen und Standardorganisationen.
- Gestartet 2014 mit rund 30 Mitgliedern, gibt es heute rund 150 Mitglieder. Die Unternehmen erwirtschaften rund 50% des deutschen Textileinzelhandelsumsatzes.
- Das BMZ ist nicht nur Initiator, die Bundesregierung ist auch aktives Mitglied und hat sich im Rahmen der Mitgliedschaft z. B. u.a. vorgenommen, das Thema nachhaltige öffentliche Beschaffung zu befördern.
Die Bündnisarbeit fußt auf 3 Säulen:
- Erste Säule ist die individuelle Verantwortung jedes einzelnen Mitglieds: Das Bündnis verfolgt hier den Weg der prozesshaften Verbindlichkeit. Die Mitgliedschaft ist freiwillig, aber jedes Mitglied ist verpflichtet, einen jährlichen Maßnahmenplan einzureichen und zu veröffentlichen. Dieser muss auf die Bündnisziele einzahlen, sich an gemeinsam definierten Schlüsselfragen und Indikatoren orientieren. Die Pläne werden von externen Experten auf Plausibilität und Fortschritt überprüft.
- Die zweite Säule ist das gemeinsame Engagement in den Produktionsländern: Jedes Mitglied kann sich an Bündnisinitiativen beteiligen, die Best Practice schaffen und an der Beseitigung ganz konkreter Probleme arbeiten.
- Zum Beispiel bei der Initiative zum Chemikalien- und Umweltmanagement in Asien. Hier arbeiten Mitglieder daran, ihre Trainingsmateriealien zum Umgang mit Chemikalien zu vereinheitlichen und weiterzuentwickeln sowie sie dem gesamten Bündnis zugänglich zu machen, insbes. in BGD und CHN.
- Oder zum Thema Sozialstandards in Baumwollspinnereien im südindischen Tamil Nadu. Hier geht es um die Überwindung von Zwangsarbeit junger Frauen, indem Akteure sich ähnlich dem Textilbündnis bei uns in Deutschland vor Ort gemeinsam an einen Tisch setzen.
- In Pakistan und Zentralasien bereiten wir Initiativen zu Wassermanagement und Saatgutvermehrung im Baumwollbereich vor. Das Thema existenzsichernde Löhnen werden wir dieses Jahr besonders intensiv bearbeiten uns hierzu ebenfalls eine Initiative umsetzen.
- Die dritte Säule setzt auf die gegenseitige Unterstützung: Das Bündnissekretariat hält eine Vielzahl an hilfreichen Schulungen, Handreichungen, Webinaren, Workshops für die Mitglieder bereit. So können sie ihr Wissen teilen, sich austauschen, gemeinsam weiterentwickeln und gute Lösungen schneller in die Welt tragen.
Was sind die Erfolge?
- Trotz der unterschiedlichen Interessen der Mitgliedschaft gelang die Einigung auf gemeinsame Bündnisziele, auf einen Aktionsplan, auf prioritäre Handlungsfelder, auf Schlüsselfragen und Indikatoren. Und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist für sich genommen schon eine kleine Sensation.
- Aber wir haben unsere anspruchsvollen Ziele nicht nur definiert, sondern auch mit der konkreten Umsetzung begonnen. 2017 wurden erstmals Maßnahmenpläne eingereicht. Gemeinsam blicken wir auf 129 Maßnahmenpläne mit über 1.500 individuellen Zielen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Darauf können wir zu Recht stolz sein! Unter den 1.500 Zielen sind fast 700 Ziele im Bereich Sozialstandards, über 700 Ziele im Bereich Chemikalien- und Umweltmanagement sowie über 200 Ziele im Bereich Naturfasern – Ziele, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen und Arbeitsbereichen Verbesserungen anstoßen. Damit ist ein Schneeball-Effekt ausgelöst, denn jedes Jahr müssen die Ziele ambitionierter werden. Das bedeutet auch: Selbst Mitglieder, die ihre Ziele im ersten Maßnahmenplan noch zurückhaltend formulieren, werden früher oder später weitreichende Ziele umsetzen.
- Dabei sind schon in 2017 von zahlreichen Mitgliedern ambitionierte Ziele gesetzt worden:
- Adidas steigert den Anteil biologischer und/oder BCI-zeritifizierter, nachhaltiger Baumwolle auf 80%.
- Dibella setzte sich zum Ziel, in 2017 alle strategischen Lieferanten auf das Vorhandensein von Umweltmanagmentsystemen zu überprüfen.
- KiK möchte mit 50% aller seiner pakistanischen Lieferanten Trainings-. Und Qualifizierungsmaßnahmen zu den Themen Lohnsteigerungspotenziale und Vermeidung exzessiver Überstunden durchführen.
- Die REWE Group möchte den Anteil der Produzenten, mit denen eine Chemikalienverbotsliste (im Endprodukt) vertraglich vereinbart wurde, auf 100 % erhöhen. Zudem soll der Anteil nachhaltiger Baumwolle in ihren Produkten auf 70% erhöht werden.
- Tchibo baut zum Thema „Chemikalienmanagement“ Qualifizierungs- und Trainerstrukturen in China und Bangladesch auf. Schon in 2017 waren dafür 30 Produzenten avisiert. Zudem soll der Anteil nachhaltiger Baumwolle, der schon zuvor bei 80% lag, noch um weitere 5-10% gesteigert worden sein und schon 2020 100% betragen.
- Die VAUDE Sport GmbH will künftig vorrangig bei Produzenten und Materiallieferanten sourcen, die die sozialen Bündnisziele einhalten.
- Seit diesem Jahr gibt es sogar verbindliche Zeit- und Mengenziele für alle Mitglieder. Damit ist das Textilbündnis in eine neue Phase getreten!
- Die Zeit- und Mengenziele bauen auf den individuellen Maßnahmenplänen auf und gelten für den Zeitraum von 2018 bis 2020. So müssen Mitglieder z.B. eine Risikoanalyse erstellen, Geschäftspartner und Produzenten systematisch erfassen, konkret darauf hinwirken, dass ihre Zulieferer keine giftigen Chemikalien einsetzen und Prozesse etablieren, die Kinder- und Zwangsarbeit verhindern.
- Weitere Ziele gibt es zu existenzsichernden Löhnen. Das Thema soll wie bereits erwähnt im kommenden Jahr ein Schwerpunkt im Bündnis sein.
- Neben den individuellen Anforderungen, wurden auch gemeinsame Bündnisziele konkretisiert: Hierzu gehört beispielsweise das gemeinsame Ziel, bis 2020 mindestens 35% nachhaltige Baumwolle einzusetzen. Dabei müssen 10% der Gesamtmenge Bio-Baumwolle sein. Bis 2025 soll der Gesamtanteil nachhaltiger Baumwolle dann auf insgesamt 70% steigen, der von Biobaumwolle auf 20%.
- Darüber hinaus baut das Textilbündnis seine internationalen Kooperationen aus.
- Seit einem Jahr bereits besteht eine Strategische Kooperation mit der Initiative ZDHC. Das Ziel der Kooperation ist die gemeinsame Nutzung und Weiterentwicklung der MRSL-Liste zur Vermeidung schädlicher Chemikalien)
- Im Dezember 2017 wurde eine strategische Kooperation mit der internationalen Initiative Action Collaboration Transformation (ACT) geschlossen, um gemeinsam das Thema existenzsichernde Löhne voranzubringen. 17 Unternehmen, darunter C&A, Esprit, H&M, Primark, Tchibo und der int. Gewerkschaftsverband IndustriAll setzen sich für branchenweite verbindliche Mindestlöhne und Tarifverträge in den Produktionsländern ein, Ziel der Kooperation: Zusammenarbeit zur Erreichung existenzsichernder Löhne, u.a. im Rahmen einer gemeinsamen Bündnisinitiative.
- Vor wenigen Tagen folgte eine strategische Kooperation mit der Sustainable Apparel Coalition (SAC). Diese Multi-Stakeholder-Initiative deckt 40 % des weltweiten Marktes ab und stellt Werkzeuge für die Nachhaltigkeits-Berichterstattung bereit, (Ziel der Koopation ist die gemeinsame Harmonisierung der Berichtsanforderungen mit der OECD Due Diligence Guidance)
- Und Ende Januar soll eine weitere Kooperation offiziell verkündet werden, und zwar mit dem niederländischen Pendant zum Textilbündnis, dem Agreement on Sustainable Garments and Textile. Gemeinsam verfolgen wir das Ziel, die Berichtsanforderungen mit der OECD Due Diligence Guidance zu harmonisieren und wir planen weitere gemeinsame Umsetzungsmaßnahmen.
- Das Textilbündnis will Vorgehen und Anforderungen mit den strategischen Kooperationspartnern abstimmen, international angleichen und so eine noch größere Breitenwirkung erzielen. Denn es ist klar: Die Internationalisierung muss vorangehen. Beim Thema Lieferketten muss man über den Tellerrand schauen. Wir alle wissen: Ein level-playing field ist erfolgsentscheidend!
Und wo geht die Reise hin?
- Unabhängig davon, wie sich die politischen Verhältnisse entwickeln, wird uns das Thema Textil-Lieferketten weiter begleiten und damit auch das Textilbündnis.
- Denn wir brauchen branchenweite Ansätze, um breite Wirkung zu entfalten, dabei Wettbewerbsverzerrungen zu mildern und Wissen sektorspezifisch zu verbreiten.
- Branchenweite Reformen erfordern gebündeltes Engagement: Wenn wir z.B. existenzsichernde Löhne in Bangladesch fördern wollen, so haben wir – Bundesregierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – gemeinsam wesentlich mehr Einfluss als einer von uns allein.
- Multi-Akteurs-Partnerschaften wie das Textilbündnis sorgen für Ownership und Kooperation. Sie sind alternativlos, wenn es darum geht, komplexe globale Herausforderungen anzugehen, sie sind geeignet, nationale Akteure einzubinden und mit sanfter, aber geballter Kraft auf die Bedingungen in Produktionsländern einzuwirken.
- Und last but not least, weil die Frage immer wieder aufkommt: Das Textilbündnis funktioniert auch in Ergänzung zu etwaigen gesetzlichen Lösungen – und steht keinesfalls dazu im Widerspruch.
- Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie herzlich um Ihre Unterstützung für das Textilbündnis. Das Bündnis ist eine historische Chance um echte, nachhaltige Veränderungen in globalen Textillieferketten durchzusetzen können. Unser Ziel ist nichts weniger als eine der weltweit größten und wichtigsten Branchen nachhaltig umzukrempeln. Das bedarf umfassender, sehr komplexer Reformprozesse, die nicht von heute auf morgen erfolgen können. Es ist klar, dass es hier und da einmal „rumpelt“. Da darf nicht jedes Mal gleich das ganze Bündnis in Frage gestellt werden. Besonders jetzt nicht mehr, wo das Bündnis bereits in die Umsetzungsphase gegangen ist und nun zunehmend Erfolge sichtbar werden.
- Der Einfluss und die Wirkung des Textilbündnisses wachsen stetig durch immer mehr strategische Partnerschaften, durch sektorweite Bündnisinitiativen in Entwicklungsländern und durch konkrete Maßnahmen der einzelnen Mitglieder. Wir sind jederzeit offen für konstruktive Anregungen, denn unsere Devise ist ständige Verbesserung.
Ich bedanke mich herzlich und freue mich auf Ihre Rückfragen und Anregungen!
(Es gilt das gesprochene Wort!)