Gemeinsam gegen Rassismus – wenn staatliche Entwicklungszusammenarbeit, Kirchen und Sport zusammen agieren

Ministerialdirigent Dr. Bernhard Felmberg
„Gemeinsam gegen Rassismus – wenn staatliche Entwicklungszusammenarbeit, Kirchen und Sport zusammen agieren“ beim 46. Studienkurs des Arbeitskreises Kirche und Sport zum Thema „Rassismus“, am 01. März 2016, in Sils/Maria (Schweiz).

Eigentlich gibt es weitaus „schönere“ Themen für einen Arbeitskreis in dieser idyllischen Umgebung. Und es ist traurig genug, dass das Thema Rassismus nicht zeitgleich mit dem Kolonialismus, der Apartheid oder der NS-Diktatur verschwunden ist, sondern in alten Mustern und neuen Gewändern immer noch präsent ist – und zwar in verschiedensten Formen und Ausprägungen, und das weltweit. Grund genug also, sich diesem Thema aus verschiedenen Perspektiven zu nähern – und gern leiste ich hier und heute auch einen Einblick aus Sicht der Entwicklungszusammenarbeit.

Kein Platz für Rassismus © Bernhard Felmberg

Kein Platz für Rassismus
© Bernhard Felmberg

In diesem Monat, in knapp drei Wochen , 21. März, jährt sich bereits zum 50. Mal der von den Vereinten Nationen ausgerufene „Internationale Tag gegen Rassismus“. Ein „runder Geburtstag“, den eigentlich niemand „feiern“ will. Die Geschichte dahinter ist vielen von Ihnen wahrscheinlich bekannt? Falls nicht, sei sie kurz noch einmal erzählt:
Am Vormittag des 21. März 1960 fanden sich an verschiedenen Orten der kleinen Stadt Sharpeville, 50 km südlich von Johannesburg, rund 20.000 Menschen zusammen und folgten einem Aufruf des Pan African Congress (PAC), der eine fünftägige gewaltfreie und friedliche Protestaktion angekündigt hatte. Die Menschen demonstrieren gegen die Passgesetze des Apartheid-Regimes, die eine scharfe Trennung von Wohn- und Geschäftsbezirken für Weiße, Schwarze und Inder vorsahen.

„Als Reaktion auf diese Tragödie riefen die Vereinten Nationen sechs Jahre später , d.h. vor exakt 50 Jahren, den 21. März als “Internationalen Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung” aus.“

Als sich die friedlich demonstrierende Menge in Richtung Polizeistation im Sharpeviller Zentrum in Bewegung setzte, eskalierte die Situation: Angeblich als Reaktion auf Steinwerfer schoss die Polizei in die Menge und tötete 69 der in Panik fliehenden Menschen, darunter acht Frauen und zehn Kinder. Viele weitere Menschen – die Angaben variieren von 180 bis über 300 – wurden teilweise schwer verletzt.
Als Reaktion auf diese Tragödie riefen die Vereinten Nationen sechs Jahre später , d.h. vor exakt 50 Jahren, den 21. März als “Internationalen Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung” aus.

Lange her, könnte man jetzt meinen. Aber: Leider  immer noch aktuell. Und da muss ich gar nicht zuerst auf die Partnerländer unserer EZ im fernen Afrika, Asien oder Südamerika schielen, sondern zuallererst vor die eigene Haustür, bei uns in Deutschland.
Laut „human rights“ gibt es keine einheitliche oder formelle Definition von Rassismus. Nahe an der Rechtspraxis ist das Verständnis von «rassistischer Diskriminierung» als dem Inbegriff von „Ungleichbehandlungen, Äußerungen oder Gewalttaten, die bewirken oder beabsichtigen, dass Menschen wegen ihrer äußeren Erscheinung («Rasse») oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nationalität oder Religion herabgesetzt werden.“

So weit, so schlecht. Aber das sollte zumindest bei uns, in Deutschland, ja eigentlich auch kein Problem sein – denn die Rechtslage bei uns ist ja eindeutig:
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“. So lautet Artikel 3 (Abs. 3) unseres Grundgesetzes. Und der Satz: »Die Würde des Menschen ist unantastbar« steht nicht nur an der Spitze dieses Grundgesetzes und ist Richtmaß für den Staat. Diese Maxime ist auch die Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft der Freiheit und Vielfalt.

Viele Menschen in Deutschland erfahren allerdings täglich, dass diese hehren Grundsätze (und Grundgesetz-Sätze) eher einen Idealzustand beschreiben als die Wirklichkeit. Das belegen auch aktuelle Studien des Interkulturellen Rates in Deutschland. Die darin konstatierte, fast noch einigermaßen erfreuliche Nachricht: Als „rechtsextrem“ eingestufte Aussagen finden deutlich weniger Zustimmung. Aber gleich hinterher die erschreckende Erkenntnis: Asylsuchende, Muslime, Sinti und Roma erfahren als Minderheitengruppen dafür eine deutlich gestiegene und besonders hohe Stigmatisierung. Die Medien bieten uns dafür seit Wochen und Monaten fast täglich neue traurige Beweise.

„Rassistische Gewalt, Stereotypen in den Medien und Alltagsdiskriminierung sind und bleiben eine alltägliche Herausforderung für unsere plurale und vielfältige Gesellschaft.“

Das ernüchternde Fazit also zunächst:
Das Thema „Rassismus als Phänomen der globalisierten Welt“ ist nicht nur als „Arbeitstitel“ für den diesjährigen Studienkurs des Arbeitsreises Kirche und Sport aktuell. Rassistische Gewalt, Stereotypen in den Medien und Alltagsdiskriminierung sind und bleiben eine alltägliche Herausforderung für unsere plurale und vielfältige Gesellschaft – und zwar sowohl in Deutschland als auch in zahlreichen Partnerländern unserer Entwicklungszusammenarbeit.

Übrigens musste sich auch die Entwicklungszusammenarbeit selbst lange Zeit den Vorwurf gefallen lassen, sie verwende in ihrer Öffentlichkeitsarbeit eine rassistische oder diskriminierende Terminologie – das fing schon beim Begriff „Entwicklungshilfe“ an. Tatsächlich benutzen wir in der staatlichen EZ schon seit den 1990-er Jahren viel lieber und zutreffender den Begriff „Entwicklungszusammenarbeit“, damit erst gar keine simplifizierten Aussagen, Eindrücke oder Stereotypen entstehen, etwa im Sinne von: „Arme schwarze Hilfsempfänger  im Süden bekommen Geld und Ratschlag, wo es künftig lang zu gehen hat, von den reichen Weißen aus dem Norden.“ Der Begriffswandel unterstreicht zugleich das Selbstverständnis einer Entwicklungspolitik, die keine „Almosen verteilen“, sondern partnerschaftlich und „auf Augenhöhe“ mit anderen zusammen arbeiten will – und zwar auch zur Vorbeugung oder Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung weltweit.

Warum ist das überhaupt ein Thema für unsere staatliche Entwicklungszusammenarbeit?  

  • Zum einen, weil die Menschenrechte Leitprinzip unserer deutschen Entwicklungspolitik sind. Unsere Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die Partnerländer dabei, ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Und zu den wesentlichen menschenrechtlichen Prinzipien gehören Nicht-Diskriminierung und Chancengleichheit. Die überwiegende Mehrheit der Partnerländer hat bspw. die Anti-Rassismus-Konvention ratifiziert [1].
  • Zum zweiten: Rassismus und andere Formen von Diskriminierung haben nicht nur massive Auswirkungen auf individuelle Bildungs- und Beschäftigungschancen von Menschen, sondern bringen auch ein erhöhtes Armutsrisiko mit sich und können so die gesamte Entwicklung eines Landes hemmen.

„Die Bekämpfung von Rassismus und anderen Formen von Diskriminierung durchziehen auch die erst kürzlich verabschiedete „Agenda 2030“.“

Nicht umsonst schreibt eine der frühesten UN-Menschenrechtsverträge, die Anti-Rassismus-Konvention von 1965 den (Vertrags-) Staaten explizit vor, von Rassismus betroffene Gruppen und Personen durch konkrete Entwicklungsmaßnahmen zu unterstützen, damit ihre Menschenrechte gewahrt werden. Aber wir müssen nicht nur auf ein 50 Jahre altes Dokument zurückgreifen, sondern haben auch ein ganz aktuelles: Die Bekämpfung von Rassismus und anderen Formen von Diskriminierung durchziehen auch die erst kürzlich verabschiedete „Agenda 2030“ mit den darin enthaltenen Sustainable Development Goals, den Zielen nachhaltiger Entwicklung. Beispielweise Ziel 10 zum Abbau von Ungleichheiten innerhalb und zwischen Staaten. Oder Ziel 16 zur Förderung friedlicher und inklusiver Gesellschaften. Aber genauso die Ziele zur Stärkung der Gesundheitssysteme, zum Ausbau der Wasserversorgung, zur Reduzierung von Armut und Hunger, Gewährleistung akzeptabler Arbeitsbedingungen usw. . Ein großer Fortschritt gegenüber dem „Vorgängerdokument“, den MDGs,  ist das allumfassende Motto der Agenda 2030, besonders schutzbedürftige Gruppen und Länder prioritär zu behandeln („Leave No One Behind“). Darin liegt zugleich ein großes Potential, Ungleichheiten sichtbar zu machen und anzugehen.

 Wo gibt es diese Ungleichheiten, Ungerechtigkeit und Diskriminierung?

Ein Beispiel: Angehörige Indigener Völker sind häufig Opfer von Rassismus.

Die  Zusammenarbeit mit indigenen Völkern, die Einbeziehung ihrer Potentiale in den Entwicklungsprozess und die Berücksichtigung ihrer spezifischen Interessen und Bedürfnisse stellen wesentliche Voraussetzungen auch für eine erfolgreiche Armutsbekämpfung dar. Dagegen verhindert die Ausgrenzung indigener Völker nicht nur deren Entwicklungschan­cen, sondern birgt auch Konfliktpotenzial und zieht Auswirkungen auf die politische Stabilität der lateinamerikanischen Länder nach sich. Das haben u.a. der Chiapas-Aufstandes in Mexiko (1994), der Bürgerkrieg in Guatemala und die sozialen Unruhen in Ecuador (seit 1990) hinreichend gezeigt. Zur Entwicklung friedvoller, demokratischer, multikultureller und multiethnischer Gesellschaften und zur Umsetzung der Menschenrechte ist die aktive Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen, einschließlich der indigenen, unabdingbar.

Vielleicht haben Sie mitgeschnitten, dass im vergangenen Jahr die ersten Indigenen Weltspiele (“the 1st World Indigenous Peoples Games”) in  Palmas/ Brasilien stattgefunden haben?  Je nach Berichterstattung und Quelle nahmen bis zu 2000 Athleten von ca. 50 ethnischen Gruppen teil, davon 22 aus Brasilien. Afrika war praktisch nicht vertreten. Initiatorin der Spiele soll eine brasilianische NGO (Marcos Terena’s Intertribal Council) sein, die u.a. durch das brasilianische Sportministerium, die Stadtverwaltung von Palmas sowie UNDP unterstützt wurde. Zu Sinn und Erfolg der Veranstaltung gab es durchaus widersprüchliche Rückmeldungen: Von vielen indigenen Gruppen wurde sie als Ablenkung von ihren drängenden Problemen kritisiert und zum Anlass genommen, gegen die Schwächung der Landrechte indigener Gemeinden zu demonstrieren. Übrigens hatte auch die katholische Kirche die hohen Kosten der Spiele als unangemessen kritisiert. In der Berichterstattung fehlten dagegen tragfähige Hinweise darauf, dass die Spiele tatsächlich auf breite Unterstützung  stießen oder ein gelungenes Beispiel für das Thema Menschenrechts-Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit und Rassismus (-bekämpfung) geboten hätten.

„Denn die Partner der Kirchen sind direkt vor Ort und damit am unmittelbarsten an den Nöten und Bedürfnissen der Menschen „dran“.“

Aber zusammen mit den Kirchen – seit über 50 Jahren besonders wichtige Partner der staatlichen EZ! – leistet das BMZ seit Jahrzehnten konkrete Unterstützung für indigene Völker in Lateinamerika und gegen deren Diskriminierung. Dabei hat sich die Ausrichtung der Vorhaben im Laufe der Jahre – quasi parallel zum Wandel des Entwicklungsbegriffes, von dem ich vorhin kurz gesprochen hatte – grundlegend geändert: Der ur­sprüngliche paternalistische Entwicklungsansatz wurde zunehmend durch partizipative Ansätze ersetzt. Im Klartext heißt das: Indigene Partnerorganisationen werden von Anfang an, bereits in der Planungsphase, in die Vorhaben einbezogen. Der Ansatz der Kirchen ist ohnehin der, dass ihre Partner am besten wissen, was die Menschen bewegt und was sie benötigen. Denn die Partner der Kirchen sind direkt vor Ort und damit am unmittelbarsten an den Nöten und Bedürfnissen der Menschen „dran“ – übrigens ein unschlagbarer Vorteil kirchlicher Entwicklungsvorhaben gegenüber staatlichen, die diese Basisnähe, langjährige, bewährte Partner und Netzwerke vor Ort oftmals nicht haben.

Lassen Sie mich nur ganz kurz zwei EZ-Vorhaben gegen Rassismus und Diskriminierung nennen – Beispiel Ecuador: Ein Vorhaben der GIZ (einer unserer beiden großen Durchführungsorganisation)  zielt darauf ab, eine kritische Reflexion darüber in Gang zu setzen, wie die Medien in Ecuador über indigene Themen und Anliegen berichten.  Indigene Reporter/innen werden fortgebildet, um  die Berichterstattung zu analysieren und mit ihrer Wahrnehmung zu vergleichen. Dialogforen zwischen Indigenen und supra-regionalen Medien helfen, unterschiedliche Perspektiven zu verstehen und bestehende (rassistische) Vorurteile abzubauen.

Beispiel Guatemala: Hier wurde ein von der GIZ und der Deutschen Welle Akademie (DWA) initiiertes Projekt in Zusammenarbeit mit dem historischen Archiv der nationalen Polizei gefördert. Ziel der Maßnahme: Öffentliche Begegnungsräume für verschiedene Sektoren der Gesellschaft zu schaffen, in denen sich die Bevölkerung über Vergangenheit und Bürgerkrieg informieren, austauschen und eine eigene Meinung bilden kann. Angehörige indigener Völker, deren Familien während des Bürgerkrieges Opfer z.T. auch rassistischer Angriffe wurden, haben die Möglichkeit, ihre Kultur auf vielfältige und kreative Art und Weise darzustellen. Diese Begegnungen von Menschen – auch über Generationen hinweg – helfen dabei, rassistische Stereotype zu überwinden und für mehr Verständnis und Toleranz zu werben.

Aber natürlich sind Rassismus und Diskriminierung sowie ethnische Konflikte nicht nur ein Thema in Südamerika.

„Dahinter steht die ebenso simple wie zutreffende Erkenntnis, dass sportbezogene Entwicklungsprogramme Menschen ganz unterschiedlicher Nationen, Kulturen und Sprachen zusammenbringen können.“

Beispiel Kenia: Dort kam es nach den Wahlen 2007/08 in bestimmten Regionen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die insbesondere entlang ethnischer Linien verliefen. In acht Dörfern förderte der Zivile Friedensdienst daraufhin gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen (wie dem Peace and Development Network Trust Kenya) Strukturen zur Gewaltprävention. Durch gezielte Begegnungen öffnete sich langsam der stark ethnisch geprägte Identitätsbegriff, Vorurteile konnten abgebaut werden. Veränderungen zeigten sich auch ganz praktisch: So entwickelte sich z.B. Handel zwischen den Dörfern, der Absatzmarkt für Milch vergrößerte sich, Kinder wurden in die nächstgelegenen Schulen statt in die „ethnisch richtigen“ geschickt und inter-ethnische Ehen wurden geschlossen.

Und – was ja besonders im Fokus dieses 46. Studienkurses steht – : Auch das Potential von Sport für nachhaltige Entwicklungsprozesse wurde zunehmend erkannt, genutzt und ausgebaut. Dahinter steht die ebenso simple wie zutreffende Erkenntnis, dass sportbezogene Entwicklungsprogramme Menschen ganz unterschiedlicher Nationen, Kulturen und Sprachen zusammenbringen können, weil sie – im wahrsten Sinne des Wortes – „spielend“ eine kooperative und unterstützende Umgebung für Austausch und Begegnung schaffen. Denn unabhängig von irgendwelchen „Fremdsprachenkenntnissen“ eines jeden und einer jeden einzelnen:
Sport ist eine „globale Sprache“ und kann deshalb auch ein Mittel und ein (Ver-) Mittler der Entwicklungszusammenarbeit sein, um Armut zu reduzieren, Innovation zu fördern und die Entwicklungsziele der Agenda 2030 zu erreichen. Vor allem mit Kindern und Jugendlichen können über gemeinsame sportliche Begegnungen Vorbehalte abgebaut sowie Fairness und Toleranz geübt und praktiziert werden. Schon die Charta der UNESCO für Leibeserziehung und Sport (1978) benennt Leibeserziehung und Sport als ein “allgemeines Menschenrecht”; und die Konvention über die Rechte der Kinder erkennt das Recht des Kindes „auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung“ an. Und zugleich werden so „spielerisch“ auch die Grundlagen von Demokratie und einer inklusiven Gesellschaft ohne Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus und vermittelt. Über Vorhaben im Sektor „Sport für Entwicklung“ können nicht nur grundlegende Werte wie Respekt und Fair Play vermittelt, sondern „nebenbei“ auch ganz  praktische Aufklärung geleistet werden: In Namibia tragen Sport-Vorhaben der deutschen EZ  seit 2013 z.B. auch zur HIV/Aids Aufklärung bei und wirken einer Stigmatisierung und Ausgrenzung der Betroffenen entgegen. Integration durch Sport innerhalb multi-ethnischer, -religiöser und -kultureller Gesellschaften fördern wir aber auch im besonders aktuellen Kontext „Flucht“ – beispielsweise in Jordanien, im Nordirak und in der Türkei.

Partner der Entwicklungszusammenarbeit sind u.a. der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) – die sich auch in Deutschland für Vielfalt im Sport und Integration durch Sport engagieren, um Rassismus entgegenzuwirken. Dazu und zum Umgang der Sportverbände mit dem Phänomen Rassismus  haben Sie in den vergangenen Tagen sicherlich schon einiges gehört – und  werden in den kommenden noch mehr erfahren.

Und noch ein Sektor spielt eine zunehmend wichtige Rolle im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung – nämlich der  von „Religion und Entwicklung“.

„Denn Religion beeinflusst die Weltsicht, den Lebensstil und das Engagement vieler Menschen und kann  eine starke politische und gesellschaftliche Gestaltungskraft darstellen.“

Vor gut 2 Wochen haben wir in Berlin und erstmalig im gesamten Ressortkreis eine  internationale Konferenz zu dem Thema auf die Beine gestellt, mit weit über 200 Teilnehmern aus aller Welt. Obwohl Religion in vielen unserer Partnerländer eine  entscheidende Werte-Ressource ist, wurde sie in entwicklungspolitischen Konzeptionen oft vernachlässigt. Das wollen wir jetzt ändern. Denn Religion beeinflusst die Weltsicht, den Lebensstil und das Engagement vieler Menschen und kann  eine starke politische und gesellschaftliche Gestaltungskraft darstellen. Aber: Auch hier beobachten wir mit Sorge vielerorts erhebliche Einschränkungen,  Verletzungen von Religionsfreiheit, staatliche Restriktionen und Diskriminierungen, die sich gegen bestimmte Religionen oder ihre Ausübung richten.

Dazu gehören sowohl die Bevorzugung von Angehörigen einer bestimmten Religion beim Zugang zu staatlichen Ämtern – oder aber, umgekehrt, der  Ausschluss von Angehörigen bestimmter religiöser Minderheiten. Hinzu kommen Anfeindungen aus dem sozialen Umfeld: Gewaltsame Übergriffe von Nachbarn auf den Andachtsort einer religiösen Gemeinschaft, der aufgewiegelte Mob, aber auch faktische Benachteiligungen des täglichen Lebens – beim Einkauf, in der Schule, im Krankenhaus. Der dringend notwendige staatliche Schutz bleibt zu häufig aus.

  • Wer ist davon betroffen? Kurz gesagt: Angehörige aller Zahlenmäßig am stärksten betroffen sind Christen, und als zweitgrößte Gruppe weltweit auch Muslime. Beide große Weltreligionen führen nicht zuletzt aufgrund ihrer Gesamtzahl – Christen stellen etwa 31,5% und Muslime 23,2%[2] der Weltbevölkerung – diese Statistik an.
  • In 61 Ländern ist Religionsfreiheit nur begrenzt oder gar nicht gesetzlich gewährleistet; in 147 Ländern wird das öffentliche Bekenntnis von Seiten des Staates eingeschränkt; vom Mob ausgehende Gewalt mit Bezug zu Religion gibt es in 49 Ländern und in 73 Ländern sind terroristische Gruppen mit religiösem Bezug aktiv.

„Religion kann eine zentrale Rolle spielen für die Verständigung darüber, in was für einer Welt wir leben und an welchen Werten wir uns orientieren wollen.“

Die Statistiken und die aktuellen Lageberichte (z.B. aus Nigeria, aus dem Irak) zeichnen ein  ziemlich düsteres Bild. Die Herausforderung,  Religionsfreiheit als Wert zu schützen und zu verwirklichen, ist offensichtlich groß. Und auch im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung verpflichtet, für die Religionsfreiheit als elementares Menschenrecht einzutreten. Das heißt zugleich: Die Förderung der Religionsfreiheit steht in untrennbarem Zusammenhang mit der Förderung anderer Menschenrechte. Und unsere wertebasierte Entwicklungspolitik will über ihren Menschenrechtsansatz ja gerade darauf hinwirken, jegliche Form von Diskriminierung abzubauen und von vornherein zu verhindern.

Religion kann eine zentrale Rolle spielen für die Verständigung darüber, in was für einer Welt wir leben und an welchen Werten wir uns orientieren wollen. Andererseits wird im Namen von Religion auch viel Elend und Diskriminierendes verbreitet. Radikale Kräfte verüben terroristische Attentate und errichten totalitäre Herrschaftsregime, in denen „Toleranz“ ein Fremdwort ist. Umso mehr bemühen wir uns jetzt, moderate religiöse Kräfte stärker in unsere entwicklungspolitischen Strategien einzubeziehen und gemeinsam für die Bewahrung der Menschenrechte einzutreten. Es ist kein Zufall, dass Versöhnungsarbeit oder Versöhnungsprozesse oftmals von religiösen Führern oder Persönlichkeiten initiiert und vorangetrieben wurden, ob in Südafrika oder in Togo. Um Extremisten, Rassismus und Diskriminierungen den Nährboden zu entziehen, werden wir also künftig die Kraft der Religionen für ein friedliches Zusammenleben nutzen und gemeinsame, grundlegende Werte identifizieren. Und die gibt es. Tatsächlich finden sich in allen Weltreligionen ähnliche Werte. Beispielsweise der Respekt vor dem Leben.

„Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu“.
Das sagt ein deutsches Sprichwort. Und es leitet sich aus der „goldenen Regel“ ab, nämlich der der Gegenseitigkeit. Und die findet man nicht nur im Neuen Testament, sondern ebenso in den Hadithen des Islam, in der Thora, in den Schriften des Hinduismus und des Buddhismus.  Und noch eine weitere Gemeinsamkeit: In den meisten Religionen gibt es die Hinwendung zu den Ausgestoßenen, den Armen. Insofern ist Religion zugleich Quelle für eine Ethik des „Genug“ und für ein Verständnis von Entwicklung, das nicht nur ökonomischen oder technischen Fortschritt meint. Als Ebenbild Gottes ist der Mensch mit einer unveräußerlichen Würde versehen. Und diese Würde gilt es grundsätzlich zu schützen –übrigens auch, wenn man keiner Religion angehört oder angehören will (s. Art. 1 GG).

Aus alldem folgt: (Entwicklungs-) Politik ist zwar weltanschaulich neutral – aber nicht werte-neutral. Deshalb akzeptieren wir auch keine Diskriminierung. Und  wir bevorzugen auch niemanden, übrigens auch keine Religionsgemeinschaft. Denn eine Einflussnahme mit Fokus auf die religiöse Zugehörigkeit einer Zielgruppe würde bestehende Konflikte nicht lösen, sondern – im Gegenteil – eher weiter schüren.

Das BMZ arbeitet mit den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland  daher nicht seit über 50 Jahren in der Form zusammen, dass mit staatlichen Mitteln Vorhaben zur Missionierung oder zur Unterstützung einer bestimmten Religionsgruppe gefördert werden, im Gegenteil: Damit würden wir bestehende Diskriminierungen nur  noch verstärken – oder bloß „verlagern“.

Vielmehr sind Vorhaben der Kirchen, die mit staatlichen Mittel gefördert werden, so konzipiert, dass sie das Zusammenleben von Christen mit Muslimen bzw. allen Religionsgruppen untereinander fördern. Eine grundsätzliche Privilegierung von Glaubensschwestern oder Glaubensbrüdern  widerspräche auch dem Auftrag und Selbstverständnis der kirchlichen Hilfswerke selbst. „Misereor“ und „Brot für die Welt – EED“ sind schon qua Definition keine Werke zur „Hilfe speziell für Christen“. Vorhaben der Kirchen kommen daher grundsätzlich allen Notleidenden zu – ungeachtet von Geschlecht, Ethnie oder Religion (akt. Zahlen zur BMZ-Förderung von Kirchenvorhaben 2016: 255 Mio. € + ca. 30 Mio. € aus verschiedenen SI,  allein 21 Mio. € aus SEWOH).

Die Partner und Projektträger der Kirchen vor Ort sind aber oft kirchlich oder kirchennah. Auf diese Weise sind christliche Akteure in hohem Maße in die Projekte involviert. Das trägt nicht nur zum Frieden und der Verständigung zwischen den Religionen bei, sondern verbessert damit langfristig auch die Situation der Christen selbst.
Erst vor gut 2 Wochen, am 17. Februar, hat BM Dr. Müller in Berlin unsere erste BMZ – Strategie zur Zusammenarbeit mit den verschiedenen Religionen vorgestellt: „Religionen als Partner in der EZ“. Die Hauptansatzpunkte, Ziele und Inhalte dieser Strategie kann man kurz und knapp in folgenden 10 Punkten zusammenfassen:

  1. Wir wollen die Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren ausbauen, d.h. die Vorhaben, in denen religiöse Akteure einbezogen sind, erhöhen, um gemeinsam mehr zu erreichen.
  2. Wir fördern zukünftig gezielt inter- und intrareligiöse Dialoge. Die internationale Konferenz in Berlin vor 2 Wochen war erst der Auftakt, um mit zahlreichen Akteuren weltweit ins Gespräch zu kommen.
  3. Im Rahmen unserer Bildungsprogramme werden wir auch Unterrichtsmaterialien nochmal genauer unter die Lupe nehmen, um darin ggf. enthaltene Vorurteile, Stereotype auszuschließen. Dazu gehören dann weitergehend auch die Unterstützung bei der Reform von Lehrplänen und die Erstellung von kultur- und religionssensiblen Materialien. Wir bauen außerdem…
  4. …das Angebot der Akademie für internationale Zusammenarbeit aus, um auch unser eigenes Auslandspersonal religiös sensibler und kulturell kenntnisreicher werden zu lassen.
  5. Die Medien spielen eine wichtige Rolle für das gesellschaftliche Klima und den Abbau von Vorurteilen. Also werden wir mit unseren Projekten zur Medienförderung und Journalistenausbildung auch die religions- und Weltanschauungsfreiheit stärker mit einbringen.
  6. Wir unterstützen die Friedensstifter und fördern den Dialog der Religionen untereinander. Natürlich gibt es unter religiösen Autoritäten auch solche, die viel lieber spalten, statt fördern oder zusammenbringen. Die bringen uns nicht weiter, sondern nur weiter auseinander. Deshalb wenden wir uns vor allem denen zu, die sich im religiösen Kontext für die Menschenrechte stark machen und als Vermittler eignen.
  7. Lokale Hilfsorganisationen – wie z.B. die Partner der Kirchen – sind oft bestens vernetzt. Wenn wir also Menschen dort erreichen wollen, wo staatliche Strukturen noch nicht oder nicht mehr präsent sind, müssen wir das verstärkt über die Zivilgesellschaft tun.
  8. Bei der Erstellung von Länder- und Sektorstrategien werden wir zukünftig die Rolle von Religion stärker als bisher berücksichtigen. Uns um zu entscheiden, mit welchen Akteuren vor Ort überhaupt sinnvoll zusammengearbeitet werden kann, werden in Zukunft  Mappings zur religiösen Akteurslandschaft
  9. In den Verhandlungen mit unseren Partnern werden wir den Schutz der Religionsfreiheit aber auch konsequent einfordern. Und schließlich…
  10. …werden wir nicht „im Alleingang“, sondern gemeinsam mit anderen Gebern und internationalen Organisationen – wie der Weltbank oder den Vereinten Nationen – die International Partnership on Religion and Sustainable Development (PaRD) gründen. Damit haben wir dann ein fest etabliertes Bündnis, das der Bündelung von Maßnahmen und dem Austausch von Erfahrungen dient.

„Die Vermeidung und Bekämpfung von Rassismus und der Schutz der Menschenrechte bleiben eine stete  Aufgabe und Herausforderung in unserer globalisierten Welt.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie merken: Vieles wird schon getan – aber es bleibt auch noch eine Menge zu tun. Denn auch aus Sicht der Entwicklungspolitik ist das Thema „Rassismus und Diskriminierung“ in vielen Bereichen nach wie vor aktuell – ob in der Zusammenarbeit mit Indigenen, bei der Stärkung der Menschenrechte, in gemeinsamen Sportvorhaben oder im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Kirchen und den verschiedenen Religionen dieser Welt. Die Vermeidung und Bekämpfung von Rassismus und der Schutz der Menschenrechte bleiben eine stete Aufgabe und Herausforderung in unserer globalisierten Welt. Allerdings eine, die es anzupacken lohnt und die wir alle gemeinsam  anpacken wollen. Und auch der Sport kann dabei eine wichtige Vermittlerrolle übernehmen. Und zwar gerade nicht in der Form, wie ihn der deutsche Satiriker und Journalisten Wolfgang Reus einmal beschrieb: Im (internationalen) Sport ist es wie in der Politik: Mehr Funktionäre als Aktive.“ 

Allein die Tatsache, dass sich auch der Arbeitskreis Kirche und Sport in diesem Jahr schwerpunktmäßig dem Thema „Rassismus“ widmet, zeigt, dass es eben nicht nur Funktionäre, sondern durchaus viele Aktive gibt, die gegen rassistische Stereotype, Diskriminierung, Vorurteile und Ausgrenzung angehen wollen. Und das ist heute wichtiger denn je: Denn Rassismus und Diskriminierung gefährden das soziale Miteinander und den Frieden in einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft – nicht nur bei uns in Deutschland oder hier in der Schweiz, sondern weltweit.

Abschließend ein bekanntes Zitat von Nelson Mandela, der einmal gesagt hat:
„Der Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern. Er hat – wie nur wenige Dinge – die Kraft, Menschen zu inspirieren, die Kraft, sie zu vereinen. Er ist mächtiger als Regierungen, wenn es darum geht Rassenbarrieren niederzureißen.“

Um wie viel erfolgreicher können wir dann sein, wenn Sport, Kirchen  und Regierungen sich im Kampf gegen Rassismus zusammentun!?:)

[1] Die Anti-Rassismus-Konvention wurde von 177 Staaten ratifiziert. Nicht ratifiziert aber unterzeichnet haben Angola (im September 2013), Bhutan Nauru Palau Sao Tome and Principe Singapore (im Oktober 2015)

Hier geht es zur Webseite der Veranstaltung.
www.ekd.de