Entwicklungspolitik als Wirtschaftspolitik?
Vom Potenzial eines unterschätzten Politikfelds
Ministerialdirigent Dr. Bernhard Felmberg auf dem Hanns-Lilje Forum 2016,
27. April 2016, Neustädter Hof- und Stadtkirche, Hannover
Liebe Frau Dr. Springer (Präsidentin des Landeskirchenamtes der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers), lieber Prof. Dr. Dahling-Sander (Geschäftsführer Hanns-Lilje-Stiftung), meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich, heute bei Ihnen hier in Hannover sein zu können. Wussten Sie, dass die Stadt Hannover eine der ersten sogenannten Fair Trade Towns in Deutschland war?
Seit 2010 hat sich Hannover in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Förderung des Fairen Handels verschrieben. Mittlerweile gibt es über 400 solcher Städte und Gemeinden in Deutschland! Durch den Verkauf fair gehandelter Produkte werden Lebens- und Arbeitsbedingungen von 1,5 Mio. Bauern und Arbeitern, von über 6 Millionen Menschen insgesamt weltweit positiv verändert. Eine Branche die ständig wächst!
Fairer Handel 2014: Absatz gut 1 Mrd. Euro (+31% zu 2013), davon Produkte mit Fairtrade-Siegel 797 Mio. Euro (+ 22%).
„Eine erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit braucht die Wirtschaft. Und ein erfolgreiches Engagement von Firmen in Entwicklungs- und Schwellenländern profitiert von den Aktivitäten und Angeboten der EZ.“
Davon profitieren Menschen in unseren Partnerländern und Wirtschaft gleichermaßen! Und genau darüber wollen wir heute hier reden. Übrigens fördert das BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) den jährlichen Wettbewerb „Hauptstadt des Fairen Handels“. Derzeit ist Saarbrücken Trägerin des Titels. Vielleicht demnächst auch Hannover.
Für mich ist klar: Statt der Frage „Entwicklungspolitik als Wirtschaftspolitik?“ können wir in jedem Fall ein Ausrufezeichen setzen: Entwicklungspolitik ist Wirtschaftspolitik! Ohne Wirtschaft keine (nachhaltige) Entwicklung, weder bei uns in Deutschland noch in unseren Partnerländern!
Durch die deutsche Entwicklungspolitik unterstützen wir nicht nur die Voraussetzungen für Wachstum in unseren Partnerländern, sondern zielen auch auf dessen Qualität:
Ob und inwiefern mehr menschenwürdige Beschäftigung geschaffen wird, ob arme Bevölkerungsteile vom Wachstum profitieren und ob Wirtschaftswachstum umweltfreundlich und ressourcenschonend ist, hängt maßgeblich von der Wirtschaftspolitik eines Landes ab.
Durch sein entwicklungspolitisches Engagement trägt das BMZ dazu bei, dass die wirtschaftliche Entwicklung in unseren Partnerländern sich an den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ausrichtet (soziale, wirtschaftliche und ökologische Dimension).
Wir fördern die wirtschaftliche Entwicklung in unseren Partnerländern, dies ist einer unserer größten Schwerpunkte der bilateralen Zusammenarbeit. Wir fördern aber auch das privatwirtschaftliche Engagement deutscher und europäischer Firmen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Und beide Stränge ergänzen sich gegenseitig!
Eine erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit braucht die Wirtschaft. Und ein erfolgreiches Engagement von Firmen in Entwicklungs- und Schwellenländern profitiert von den Aktivitäten und Angeboten der EZ.
Im Kern steht für mich dabei ganz klar der Mensch, nicht erst seit der Agenda 2030 mit ihrem Versprechen des „leaving no one behind“, also der Entwicklung für alle. Schließlich wusste schon Ludwig Erhard: „Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen.“ Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass dies auch gelingt!
Ich möchte dies gern durch 4 Thesen untermauern.
- Wirtschaft ist der Motor für Entwicklung.
Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und Einkommen und generieren durch Steuern die Grundlage für einen handlungsfähigen Staat. Arbeitsplätze und Beschäftigung steigern den Wohlstand und die Lebensqualität insgesamt. Menschen mit Einkommen können sich bessere medizinische Versorgung und Bildung für sich und ihre Kinder leisten. Armut, Perspektivlosigkeit hingegen führen zu Konflikten (politische Unruhen, Destabilisierung von Ländern und Regionen, Terror) und Flüchtlingswellen.
Durch das entwicklungspolitische Engagement des BMZ unterstützen wir die Schaffung von Beschäftigung und Einkommen, z.B. über berufliche Aus- und Fortbildung, Finanzsystementwicklung, Privatwirtschaftsförderung und Wirtschaftspolitik, und schaffen so Zukunftsperspektiven.
Durch Beschäftigungsprogramme tragen wir zur Fluchtursachenbekämpfung bei und der Stabilisierung der Heimatregionen, z.B. im Irak: Durch Cash-for-Work Programme bringen wir 15.000 Menschen in Arbeit, die kommunale Infrastruktur aufbauen, Dächer und Straßen ausbessern; Gesamtziel: Beschäftigung für 50.000 Menschen, 250.000 Familienmitglieder profitieren.
Ein weiteres solches Beispiel ist eine Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft im Rahmen des develoPPP-Programms mit der Firma Original Food in Äthiopien. Dank verschiedener Maßnahmen zwischen 2010 und 2014 profitieren nun 60.000 (statt vorher 50.000) Menschen von der Produktion des Wildkaffees und anderer Natur-Produkte in der Kafa-Region. Und das Unternehmen profitiert auch, durch exzellente Lieferantenbeziehungen und Liefersicherheit für den europäischen Markt. Eine klassische Win-Win Situation.
- Wirtschaftliche Entwicklung stärkt die Eigenverantwortung unserer Partnerländer
Wirtschaftliche Entwicklung führt zu mehr Beschäftigung und Einkommen und zu steigenden Steuereinnahmen eines Landes. Wenn der Staat mehr Geld zur Verfügung hat, kann er mehr in entwicklungspolitisch relevante Sektoren investieren, z.B. Infrastruktur, Gesundheit, Bildung. Dies trägt zur nachhaltigen Entwicklung des Landes insgesamt bei und steigert die Eigenverantwortung der Partnerländer, denn es reduziert die Abhängigkeit von externen Geldgebern.
Deshalb unterstützt das BMZ Partnerländer beim Aufbau ihres Steuersystems und der Ausgabenplanung. Zum Beispiel beraten wir in Ghana das Finanzministerium und andere Behörden bei der Reform des Steuerwesens. Schon heute haben sich die Steuereinnahmen im Land deutlich erhöht, die Zahl der Steuerpflichtigen ist gestiegen und die Last der Steuern wird dadurch auf mehrere Schultern verteilt.
Gleichzeitig unterstützen wir unsere Partnerländer bei der Schaffung von guten Rahmenbedingungen, die wirtschaftliche Entwicklung begünstigen, z.B. durch wirtschaftspolitische Beratung, Förderung von Rechtsstaatlichkeit, guter Regierungsführung, Bekämpfung der Korruption.
Und: Wir kooperieren immer stärker mit nicht-staatlichen Akteuren aus Deutschland und den Partnerländern, zum Beispiel Kammern und Verbänden.
Ziel unseres Programms Kammer- und Verbandspartnerschaften ist die institutionelle Stärkung lokaler Einrichtungen sowohl als Anbieter unternehmensbezogener Dienstleistungen, als auch als Interessenvertretung kleiner und mittlerer Unternehmen.
Durch den so gestärkten Privatsektor leistet das BMZ einen Beitrag zur nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung in den Partnerländern. In mehr als 300 Projekten in rd. 80 Ländern haben sich bereits rd. 50 dt. Kammern und Verbände engagiert und wertvolle Unterstützung geleistet.
Beispiel Myanmar: In einer Kammer- und Verbandspartnerschaft mit der Außenhandelsvereinigung des deutschen Einzelhandels (AVE) und Textilverbänden in Myanmar wollen wir derzeit das nötige Know-How schaffen, damit unsere lokalen Partner selbst die Nachhaltigkeit im Textilsektor in ihrem Land vorantreiben können.
- Unsere EZ orientiert sich am Leitbild einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft und hat Vorbildcharakter für andere Länder
Länder wie China und Indien erleben ein rasantes wirtschaftliches Wachstum. Damit gehen große Herausforderungen für Energieverbrauch, Umweltschutz und Sozialstandards einher. Wir unterstützen diese Länder dabei, ihre Industrialisierung so energieeffizient, umweltgerecht und sozialverträglich wie möglich zu gestalten – und das nicht mit Geld, sondern indem wir sie beraten.
Umweltverschmutzung kennt keine Grenzen – zum Beispiel beim CO2-Ausstoß. So haben wir in China 200 Kohlekraftwerke nach Umweltaspekten optimiert. Dadurch werden jährlich 1,5 Millionen Tonnen weniger CO2 ausgestoßen als in der Vergangenheit. Außerdem wirft der gesellschaftliche Wandel in China zahlreiche Fragen zu sozialen Sicherungssystemen auf. Hier sind deutsche Erfahrungen sehr gefragt. Teilweise übernimmt China sogar deutsche Systeme – so zum Beispiel die Regelungen zum Patentrecht.
Um globale Herausforderungen wie Klimawandel und wachsender Ungleichheit zu begegnen, müssen die wirtschaftspolitischen Kapazitäten unserer Kooperationsländer gestärkt werden. Auch erfordern diese eine gesteigerte Verantwortung auf Seiten des Staates. Unsere Kooperationsländer müssen in die Lage versetzt werden, makroökonomische Stabilität zu sichern und wachstumsförderliche Rahmenbedingungen aufrecht zu erhalten, um positive Einkommens- und Beschäftigungseffekte breit in der Bevölkerung zu verankern.
Hinzu kommt: Große und wichtige Länder wie Indien, China, Südafrika oder Brasilien haben in der Regel großen Einfluss auf die Stabilität und die Entwicklung in ihrer jeweiligen Region. Daher ist Deutschland daran interessiert, diese Länder weiter voranzubringen.
Darüber hinaus können wir gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft zeigen, dass „Made in Germany“ mehr ist als nur langlebige Produkte, sondern dass wir auch für einen Einklang mit der Natur und für ein gerechtes Miteinander und Wohlstand für alle stehen.
Damit befeuern wir in der EZ immer auch die Debatte in Deutschland, wie wir hier im eigenen Land leben wollen. Denn wir können natürlich nur glaubwürdig für eine ökologische und soziale Marktwirtschaft eintreten, wenn wir diese hierzulande weiterhin pflegen!
Dazu gehört als essentieller Bestandteil die Wahrung der Menschenrechte! Wie Sie wissen, ist uns im BMZ das Thema Wirtschaft und Menschenrechte ein wichtiges Anliegen.
Bis zu diesem Sommer wollen wir gemeinsam mit zahlreichen anderen Bundesministerien dem Kabinett einen ambitionierten Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) vorlegen und dann auch in die Tat umsetzen. Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht steht dabei im Zentrum. Wir flankieren diese mit geeigneten Unterstützungsangeboten für deutsche Unternehmen!
Ein Beispiel dafür ist das Deutsche Global Compact Netzwerk, welches wir schon seit vielen Jahren fördern. Über unser Bündnis für Nachhaltige Textilien zeigen wir gemeinsam mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft, wie sich eine ganze Branche zum Wohle von Mensch, Natur und Wirtschaft verändern lässt.
So sieht für mich Wirtschaft und Entwicklung aus! Und wie ich finde: Es gibt bei weitem mehr Chancen als Herausforderungen! Die müssen wir nutzen!
- Ohne die Privatwirtschaft werden wir weder die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 noch die Klimaziele erreichen können.
Mit Beschluss der Nachhaltigen Entwicklungsziele der VN (Agenda 2030) und auf dem Klimagipfel in Paris im letzten Jahr haben wir uns alle ambitionierte Ziele gesetzt. Um diese umzusetzen sind nicht nur wir als Bundesregierung gefragt, sondern jeder muss seinen Beitrag leisten, auch Zivilgesellschaft, Kirchen und Privatwirtschaft.
Mittlerweile fließen mehr als die Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländer. Damit sind privatwirtschaftliche Investitionen ein größerer Treiber für Entwicklung als die ODA weltweit- Entwicklungshilfegelder werden nur einen kleinen Teil der benötigten Finanzierung ausmachen können.
Nur mit der Privatwirtschaft werden sich die jährlichen Kosten für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele stemmen lassen. Dabei geht es nicht so sehr um Spenden und Wohltätigkeit als um Investitionen und Handel. Hier ist auch die deutsche Wirtschaft gefragt. Die Verflechtungen der deutschen Wirtschaft mit Entwicklungsländern, gerade in Afrika, sind aber nach wie vor nur sehr gering ausgeprägt. Der Handel mit unserem südlichen Nachbarkontinent, der nur zwei Prozent unseres Auslandgeschäfts ausmacht, beschränkt sich zudem bisher auf einige, wenige Länder. Das wollen wir ändern. Das BMZ bietet daher vielfältige Förderinstrumente und Kooperationsmöglichkeiten an.
Ich möchte nur einige Beispiele nennen:
- Das de-Programm hat seit 1999 über 1.800 Projekte in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft durchgeführt. Dabei hat das BMZ 325 Mio. Euro eingesetzt und die beteiligten Unternehmen 560 Mio. Euro, das heißt aus einem Euro eingesetzter Steuergelder machen wir 2,70 Euro für nachhaltige Entwicklung.
- Oder die Entsendung von EZ-Scouts in Verbände und Kammern der verfassten Wirtschaft und von Experten in Auslandshandelskammern, sogenannten ExperTS, die Unternehmen zu entwicklungspolitisch sinnvollem Engagement beraten.
- Und natürlich die gestern Abend (26.04.) offiziell eröffnete Agentur für Wirtschaft und Entwicklung in Berlin, die als Schnittstelle zwischen Wirtschaft und EZ fungieren soll. Direkt im Haus der Verbände.
Sie sehen: Die deutsche EZ arbeitet immer dann mit privaten Unternehmen zusammen, wenn dadurch ein entwicklungspolitischer Nutzen für die Menschen in unseren Partnerländern entsteht. Und die Erfahrung zeigt: Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen sich entwicklungspolitische und betriebswirtschaftliche Interessen nicht nur überschneiden, sondern durch eine Zusammenarbeit erst entstehen – win-win.
In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam mehr Ausrufezeichen setzen. Denn Ein Ausrufezeichen heißt auch immer: Anpacken und Lösungen erarbeiten, nicht hadern und vor den Herausforderungen verzweifeln. Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen.
Hier finden Sie die Links zur Veranstaltung des Hanns-Lilje-Forums in Hannover.
Hier geht es zum Programm des Hanns-Lilje-Forums.