Warenströme Lieferkette – 12. CSR-Forum Stuttgart, 06.04.2016
Ministerialdirigent Bernhard Felmberg
Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Hammerl, Herr Nagel, Herr Schmidt,
das Thema Warenströme und Lieferketten hat gerade für unser Haus, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), in letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Die globalen Lieferketten sind heutzutage in hohem Maße komplex und framentiert. Zum Beispiel durchläuft ein Herrenhemd in seiner Produktion bis zu 140 Fertigungsschritte in zahlreichen verschiedenen Ländern, bis es bei uns auf dem Kleiderbügel im Geschäft zu kaufen ist.
Für andere Konsumgüter gilt das in gleicher Weise. Denken Sie an Schuhe, an Smartphones oder auch an die Spielsachen unserer Kinder. All diese Sachen werden zu großen Teilen in Entwicklungs- und Schwellenländern unter Bedingungen produziert, die oftmals wenig Rücksicht auf die Belange der Beschäftigten, von Umwelt und Natur nehmen. Das zeigt, die Art und Weise, was und wie wir produzieren lassen und konsumieren, beeinflusst die sozialen und ökologischen Lebenssituationen in etlichen Entwicklungsländern dieser Welt.
„Milliarden Menschen soll die Chance auf ein würdiges Leben eröffnet werden, ohne dabei einen ökologischen Kollaps zu provozieren.“
Darum setzt sich die deutsche Bundesregierung für eine nachhaltigere Welt ein, damit Menschen weltweit Zukunftsperspektiven erhalten und nicht als Verlierer der Globalisierung und des globalen Handels zurückbleiben.
Dafür steht auch die Agenda 2030, die unsere Bundeskanzlerin mit 192 anderen Staats- und Regierungschefs letzten September im Rahmen der Vollversammlung der Vereinten Nationen unterzeichnet hat.
Für uns ist die Agenda 2030 schlichtweg der Weltzukunftsvertrag. Der Inhalt lautet: Milliarden Menschen soll die Chance auf ein würdiges Leben eröffnet werden, ohne dabei einen ökologischen Kollaps zu provozieren.
Daraus ergeben sich zwei Folgerungen:
Erstens: Nicht nur die Entwicklungsländer werden sich verändern müssen, sondern auch wir; die Industrieländer. Zweitens: Wir müssen zusammen denken, was nur zusammen erreicht werden kann: Armuts- und Hungerbekämpfung, Umwelt- und Klimaschutz, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und vieles mehr. Unser gemeinsames Ziel muss sein: Armut und Unterentwicklung überwinden, ohne die Umwelt dabei zu zerstören. Das ist Nachhaltigkeit global gedacht!
Aber es reicht nicht nur nachhaltig zu denken, wir müssen in einem zweiten Schritt auch über nachhaltig globales Handeln reden, um es dann drittens in die Tat umzusetzen.
Das möchte ich Ihnen am Beispiel des Engagements der Bundesregierung für textile Lieferketten darstellen.
- Lieferketten/Textil
Unternehmen stehen heute unter einem immensen Druck. Einem immer härter werdenden internationalen Wettbewerb. Es geht um Schnelligkeit, Innovationen und Kosten.
Aber all das darf keine Ausrede sein, den Status Quo zu akzeptieren. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Waren für uns unter Bedingungen produziert werden, die wir hierzulande nie zulassen würden.
Unternehmer sein heißt auch: Verantwortung für das Gemeinwohl tragen. Früher hat man das „Ehrbarer Kaufmann“ genannt. Heute heißt es „Corporate Social Responsibility“. Und so ein Forum wie dieses hier unterstreicht die Wichtigkeit dieses Themas. Denn in einer globalisierten Welt ist auch das Gemeinwohl global. Eine globale Wirtschaft braucht ein gerüttet Maß an globalem Mitgefühl.
Wir im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind davon überzeugt: Wenn wir alle gemeinsam Verantwortung übernehmen, dann muss niemand befürchten, sich schlechter zu stellen. Wenn jeder einzelne von uns auf bessere Bedingungen achtet – auf faire Löhne, Arbeits- und Umweltschutz über die gesamte Lieferkette hinweg.
Leider halten sich da noch nicht alle dran. Unsere Wertestandards haben sich in der Praxis immer noch nicht durchgehend durchgesetzt. Besonders im Textilbereich.
Die Bilder des eingestürzten Fabrikgebäudes Rana Plaza sind uns allen auch nach fast 3 Jahren noch in lebhafter Erinnerung. Über 1.100 Menschen sind damals ums Leben gekommen. Mehr als 2.000 weitere Menschen überlebten das Unglück schwer verletzt und leiden oft heute noch unter den Folgen. Wir können also nicht einfach die Augen verschließen und so tun, als ob uns das alles nichts angehen würde!
Aus diesem Grund hat unser Ministerium unter der Leitung von Bundesminister Dr. Gerd Müller gesagt: Wir übernehmen Verantwortung, wir gründen das Bündnis für nachhaltige Textilien. Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und die Bundesregierung: Gemeinsam setzen wir uns für bessere Standards in der Textilbranche ein, vom Rohstoff bis zum Bügel, und zwar weltweit!
Kein einfaches Vorhaben.
Denn gerade in der Textilbranche sind die Wertschöpfungsketten komplex und fragmentiert. Baumwolle anbauen. Stoffe herstellen, färben, nähen: Das alles geschieht meist quer über den Erdball verteilt. Ich habe am Anfang meiner Rede bereits vom Herrenhemd mit den über 140 Produktionsschritten gesprochen. Natürlich ist es eine Herausforderung, ein solches breites Bündnis für so eine komplexe Lieferkette zum Erfolg zu führen. Das wissen wir und daran arbeiten wir sehr hart. Es wird dabei auch immer wieder Gegenwind geben und es kann zu Verzögerungen und auch Ungeduld einzelner Mitglieder kommen. Aber wir lassen uns von unserem Vorhaben nicht abbringen und werden uns weiterhin mit aller Kraft für bessere Standards entlang der gesamten Lieferkette einsetzen.
Und dabei bekommen wir immer mehr Unterstützung!
- Status Quo im Textilbündnis
Das Textilbündnis wächst! Seit dem Start haben sich die Mitglieder mehr als verfünffacht auf heute rund 180 Organisationen. Mehr als drei Viertel davon sind Unternehmen. Unter ihnen die „Großen“ der Branche wie H&M, C&A, Adidas oder Puma. Aber auch viele kleine oder mittelständische Unternehmen.
Im Textilbündnis verpflichten sich alle Mitglieder, gemeinsam daran zu arbeiten, dass unsere Kleidung nach anspruchsvollen Sozial- und Umweltstandards hergestellt wird.
Das heißt unter anderem konkret:
- dass die Fabriken internationalen Ansprüchen an Brandschutz und Gebäudesicherheit entsprechen;
- dass keine Kinder in der Produktion arbeiten müssen;
- dass keine giftigen Chemikalien in der Produktion eingesetzt werden.
Mittlerweile vereint das Bündnis gut 55% des deutschen Einzelhandelsmarkts – ein beachtlicher Etappensieg! Denn das bedeutet Marktmacht. Und Marktmacht bedeutet: gemeinsam Dinge durchsetzen zu können, die jeder für sich allein nicht hätte durchsetzen können.
Wir wollen diesen Anteil weiter steigern.
Unser nächstes Ziel: 75% Marktabdeckung.
- Aktuelle Entwicklung
Wir arbeiten aber auch konkret an der Umsetzung. In sechs Arbeitsgruppen arbeiten wir an den Kernthemen des Textilbündnisses. Für die Bereiche Naturfasern, Chemikalien und Sozialstandards entwickeln wir Maßnahmen und Indikatoren, die für alle Mitglieder bindend sind. Das heißt, wir verständigen uns beispielsweise darüber, welche Chemikalien unsere Mitglieder in der Produktion zukünftig einsetzen werden. Gleichzeit erarbeiten wir ein System, wie wir überprüfen können, dass alle Mitglieder die Bündnisziele auch ernsthaft verfolgen. Noch in diesem Monat beginnen wir mit der Ist-Status Abfrage unserer Mitglieder. Danach wissen wir: mit welchen Systemen arbeiten unsere Mitgliedsunternehmen, wo produzieren sie. Dies gibt uns Aufschluss darüber, welche Schwerpunkte wir zukünftig setzen werden.
Es wird sicher noch dauern, bis diese Wende in allen Textilfabriken angekommen ist. Aber die Botschaft ist klar: Gemeinsam haben wir uns auf den Weg gemacht hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Textil-Lieferkette!
Und es gibt Fortschritte. Viele Unternehmen haben bereits begonnen, den Anteil an nachhaltiger Baumwolle zu erhöhen.
Auch das BMZ ist bereits aktiv. Rund 16 Mio. Euro haben wir in den letzten Jahren allein in Bangladesch investiert, um die Sozial- und Umweltstandards in der Textilindustrie zu verbessern.
- Textilbündnis: Blaupause für andere Lieferketten!
Eine nachhaltige Lieferkette in der Textilindustrie, vom Baumwollfeld bis zum Bügel, ist eine Win-Win-Situation: für Unternehmen, für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für Konsumentinnen und Konsumenten und vor allem für die Menschen in den Produktionsländern.
Und wir wollen dies auch auf andere Bereiche ausdehnen. Das Textilbündnis soll eine Blaupause für weitere Lieferketten werden.
Auch Kakaobauern und ihren Familien wollen wir ein besseres Leben ermöglichen. Im Forum Nachhaltiger Kakao arbeiten wir mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft dafür zusammen. Und feiern Erfolge. Wir haben es geschafft, den Anteil des Nachhaltigen Kakaos in Deutschland auf 37% zu erhöhen.
Es bleibt aber noch viel zu tun. Denn langfristig müssen wir die Bedingungen entlang aller Lieferketten verbessern.
- Nachhaltige Wirtschaft
Das geht nicht gegen die Wirtschaft, das geht nur mit der Wirtschaft. Seit nunmehr 16 Jahren fördern wir deshalb Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft im Rahmen unseres develoPPP.de-Programms.
Dafür gab es vom BMZ bisher über 325 Mio. Euro. Und von den Unternehmen kamen in ca. 1700 Projekten mehr als 560 Mio. Euro dazu. Das heißt: Aus jedem Euro, den wir als BMZ in diese Partnerschaften investieren, machen wir 2,70 Euro – eine stolze Hebelleistung.
Es geht hierbei aber natürlich nicht in erster Linie ums Geld, sondern um die Hebung gemeinsamer Chancen. Für Entwicklung. Für die Menschen vor Ort.
- Nachhaltiger Konsum
Doch für faire Lieferketten sind auch wir als Verbraucherinnen und Verbraucher gefragt. Wir können viel zu einem Wandel beitragen – indem wir fair und verantwortungsbewusst einkaufen.
Letztes Jahr hat der faire Handel in Deutschland einen Rekord geknackt:
- Über 1 Milliarde Umsatz,
- ein Zuwachs um 30%!
Das heißt: Wir sind auf dem richtigen Weg. Damit es in diese Richtung weiter geht, müssen wir die Menschen informieren, was man guten Gewissens kaufen kann. Dafür hat die Bundesregierung das Verbraucherportal „Siegelklarheit“ ins Leben gerufen. Dazu gibt es auch eine kostenlose Handy-App. Die bringt Licht in den Siegel-Dschungel:
- Sie können sich hier mit einem Klick informieren.
- Sie lernen, welche Umwelt- und Sozialsiegel glaubwürdig sind.
- Verantwortlich Handeln war nie einfacher.
Und natürlich muss auch die öffentliche Verwaltung mit gutem Beispiel vorangehen. Der Staat ist selbst ein wichtiger Konsument! Für mehr als 260 Milliarden Euro im Jahr kauft allein die öffentliche Hand in Deutschland jährlich ein: Da ist noch sehr viel Spielraum für nachhaltigeres Beschaffen, der jetzt genutzt werden muss. Deswegen haben wir beschlossen: Bis 2020 sollen Bundesbehörden die Hälfte aller Textilien nach ökologischen und sozialen Kriterien beschaffen. Ein wichtiger Schritt, dem noch viele weitere folgen müssen.
Sie merken, das Thema Warenströme und Lieferketten ist vielschichtig. Es geht dabei nicht nur um die Produktion innerhalb der Lieferketten, sondern auch um den Konsum. Ich habe es eingangs bereits erwähnt: Wir müssen Zusammenarbeiten und auch wir, die Industrieländer, müssen uns verändern. Daher gibt es viele Ebenen, auf denen das BMZ bei diesem Thema ansetzt. Unser Ziel dabei: Wir wollen gemeinsam mit allen Beteiligten Verantwortung für Deutschland und Mitverantwortung für unsere Partner in der Welt übernehmen. Dabei ist auch klar: Deutschland kann die aktuellen Herausforderungen nicht allein bewältigen, aber wir müssen tun, was in unseren Kräften steht!
Ich bin nun gespannt auf die weiteren Beiträge und freue mich auf die anschließende Diskussion mit Ihnen. Vielen Dank!